Keine dickeren und größeren Muskeln durch Krafttraining? Anpassungsmechanismen der Muskulatur
Vor allem Männer wünschen sich schnell dickere und größere Muskeln durch Krafttraining. Frauen, die mit Krafttraining leichter und schneller abnehmen und schlank werden wollen, haben oftmals Angst, dass Sie zu große und zu dicke Muskeln und Oberarme bekommen und dann unästhetisch und unschön aussehen – nicht mehr weiblich wirken.
Ingo Froboese, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln, beschäftigte sich in Stern Gesund Leben unter dem Titel: “Viel Krafttraining = dicke Muskeln!” damit, wie sich Muskeln an verschiedene Arten von Krafttraining anpassen und somit stärker und wenn gewünscht auch dicker werden.
Frauen bekommen keine dicken Oberarme voller Muskeln
Normalerweise bekommen Frauen beim Krafttraining keine großen, umfangreichen und dicken Muskeln – siehe auch der Hinweis im Artikel: “Richtig trainieren, um schlank zu werden – schnell und schwer gleich mehr Hunger?“, dass Frauen normalerweise keine dicken Oberarme voller Muskeln bekommen.
Dass Frauen nicht zu viele, zu dicke und zu große Muskeln und Oberarme bekommen, wird nicht nur natürlich durch den geringeren Testosteronspiegel von Frauen beeinflusst, man kann das Muskelwachstum auch mit der Art des Krafttraining gezielt beeinflussen.
Die Muskeln reagieren auf den Trainingsreiz nicht gleich und nicht nur mit Muskelwachstum, sondern der menschliche Körper hat weitere wichtige Anpassungsprozesse, um stärker zu werden, die Ingo Froboese vorstellt.
Intermuskuläre Koordination – mehr Kraft ohne größere Muskeln
Durch das Krafttraining verbessert sich die intermuskuläre Koordination, das Zusammenspiel der Muskeln miteinander. Durch dieses bessere Zusammenarbeiten der Muskeln, auch in der Hinsicht, dass der Gegenmuskel nicht den gerade arbeitenden Muskel behindert, steht mehr Kraft zur Verfügung und die einzelnen Kraftübungen können besser, leichter und öfter wiederholt werden.
Die Verbesserung der intermuskulären Koordination durch Krafttraining führt dazu, dass ein Kraftzuwachs vorhanden ist, ohne eine Zunahme des Muskelvolumens. Die Muskeln können mehr Kraft zur Verfügung stellen, werden aber nicht dicker und größer.
Steigerung der lokalen Kraftausdauer – länger Kraft ohne Muskelwachstum
Durch ein regelmäßiges Krafttraining steigt die lokale Kraftausdauer in den Muskeln, bzw. Muskelzellen. Die Muskeln lernen schneller, besserer und ausdauernder Energie zur Verfügung zu stellen. Dies geschieht sowohl durch verbesserte Abläufe der biochemischen Prozesse, die die Energie in den Muskelzellen produzieren, als auch durch einen verbesserten Energieaustauschen zwischen den Muskelzellen.
Ingo Froboese weist ebenso darauf hin, dass durch das regelmäßige Krafttraining auch neue Blutgefäße entstehen und dadurch die Blutversorgung in den Muskeln verbessert wird. Dieser Prozess der Entstehung neuer Blutgefäße findet normalerweise durch Ausdauertraining, wie Radfahren oder Joggen statt.
Durch das Ausdauertraining werden zum Beispiel in den Beinen neue Blutgefäße gebildet. Ein Indikator für den Körper, dass mehr und somit neue Blutgefäße gebraucht werden, ist die Strömungsgeschwindigkeit des Bluts an den Innenseiten der Adern. Den Effekt der Bildung neuer Blutgefäße kann man steigern, indem man kurze, schnelle und sehr intensive Trainingseinheiten in sein Ausdauertraining einbaut – kurze, schnelle Sprints, vor allem Bergauf oder schnelle Treppenläufe – Treppensprints.
Die neuen Blutgefäße, ob durch das Ausdauertraining, oder durch das Krafttraining, führen nicht nur zu einer besseren Versorgung der Muskeln und damit mehr Kraft und Ausdauer (und schnellerer Kraftverfügbarkeit), sondern auch dazu, dass der Körper die Körpertemperatur besser regulieren kann. Durch die zusätzlichen Blutgefäße friert man im Winter nicht mehr so schnell, muss weniger heizen und reagiert im Sommer nicht mehr so empfindlich auf Hitze und hohe Temperaturen.
Die Entstehung neuer Blutgefäße wird auch angewendet, um durch Ausdauertraining natürliche Bypässe in den Blutgefäßen, die das Herz mit Blut versorgen, zu erzeugen. Diese natürlichen Bypässe auch durch Ausdauertraining bei der Schaufensterkrankheit, dem Verschluss der Blutgefäße, die die Muskeln der Beine mit Blut versorgen, angewendet. Auch dort entstehen durch das regelmäßige Training natürliche Bypässe.
Ingo Froboese empfiehlt zur Steigerung der Kraftausdauer der Muskeln das Training so anzupassen, dass mit wenig Gewicht mehr Wiederholungen – 20 bis 25 Stück – möglich sind.
Intramuskuläre Koordination – Mehr Kraft durch Nutzung von mehr Muskelfasern
Im Gegensatz zur intermuskulären Koordination verbessert die intramuskuläre Koordination die Koordination innerhalb der Muskeln, die Möglichkeit möglichst viele Muskelfasern gleichzeitig zu nutzen. Ingo Froboese führt aus, dass ein untrainierter Muskel nur 60 Prozent seiner Muskelfasern “gleichzeitig willkürlich aktivieren” kann.
Durch ein Training mit sehr hohen Gewichten und Widerständen, bei denen nur maximal zwei bis vier Wiederholungen möglich sind, verbessert sich die intramuskuläre Koordination stark. Ein so trainierter Muskel kann auch, die sonst meist nicht mit genutzten, größten Muskelfasern anspannen und für die Kraftausübung nutzen.
Die mit maximalem Widerstand trainierten Muskeln können bis zu 90 Prozent ihrer Muskelfasern gleichzeitig nutzen. Dadurch kann viel mehr Kraft aufgewendet werden. Das Volumen der Muskeln ändert sich dadurch nicht, die Arme werden nicht dicker und die Muskeln wachsen durch den Effekt der verbesserten Intramuskulären Koordination nicht.
Hypertrophie – Muskelwachstum und Muskelaufbau durch Krafttraining
Durch intensives Krafttraining mit maximaler Auslastung werden die Muskelfasern dicker und es kommt zu einem Zuwachs an Muskelmasse. Ingo Froboese empfiehlt für den Muskelaufbau so hohe Widerstände, dass 10 bis 15 Wiederholungen möglich sind.
Die Gewichte, die Belastung, sollten so gewählt werden, dass nach den 10 bis 15 Wiederholungen noch maximal 2 Wiederholungen möglich wären und es sollte das Gefühl eines Brennens in den Muskeln entstehen.
Das Brennen deutet laut Ingo Froboese darauf hin, dass die Muskelzellen ihre Energiereserven aufgebraucht haben und sie neue Eiweißmoleküle einlagern. Dieser Effekt nennt sich Hypertrophie und führt dazu, dass die Muskelfasern dicker werden und die Muskelmasse wächst.
Hyperplasie – Wachstum von neuen Muskelzellen und Muskelfasern
Ingo Froboese führt aus, dass der Effekt der Hyperplasie bedeutet, dass nicht nur die vorhandenen Muskelfasern wachsen und dicker werden (Hypertrophie), sondern neue Muskelzellen und Muskelfasern wachsen, die vorher nicht vorhanden waren.
Der Muskelaufbau durch Hyperplasie ist beim Menschen nicht nachgewiesen. Es gilt laut Ingo Froboese als unsicher, ob beim Menschen durch Krafttraining das Wachstum neuer Muskelzellen und Muskelfasern erreicht werden kann.
Die Hyperplasie wurde bisher nur im Tierexperiment nachgewiesen. Ingo Froboese vermutet, dass das Wachstum von neuen Muskelzellen und Muskelfasern vor allem durch Kontraktionen angeregt werden kann. Bei diesen Kontraktionen wird der Muskel “… wie beim Bergabgehen zusätzlich gedehnt ….”
Fazit
Ingo Froboese stellt als Fazit heraus, dass ein regelmäßiges Krafttraining auf jeden Fall zu einer Stärkung der Muskeln führt. Ob die Muskeln zusätzlich zum Kraftzuwachs auch noch größer und dicker werden hängt davon ab, auf welchen der von ihm vorgestellten Anpassungsmechanismen man sein Krafttraining ausrichtet.
Literatur:
Stern Gesund Leben: “Viel Krafttraining = dicke Muskeln! – Stimmt nicht immer. Ob die Muskeln beim Gewichtedrücken wachsen, hängt von der Trainingsmethode ab. Stark werden sie allerdings in jedem Fall.” von Ingo Froboese, Heft 1/2007, Seite 104.
Diplom-Betriebswirt (FH) André Fiebig