Kritik an der Paläo-Diät – Ist die echte Steinzeiternährung möglich?
Ist die Paläo-Diät die gesunde, schlank machende Ernährung bzw. Diät, die für den Menschen die einzig natürliche darstellt? Betrachtungen im Spiegel über erfolgreiche Fortpflanzung als Selektionskriterium der Evolution, Verbesserung der Gesundheit und Steigerung des Sexualtriebs, die Kohlenhydratsucht der Menschen und ob man Wildäpfel und Mammutsteaks zum abnehmen braucht.
Der Spiegel kritisiert die in Hollywood beliebte Paläo-Diät mit Anhängern, wie dem Sänger Tom Jones, der Schauspielerin Jessica Biel oder dem Schauspieler Moritz Sachs – Klaus Beimer aus der Lindenstraße -, welche mit der Steinzeit-Diät abnehmen.
Jäger und Sammler
In der Paläo-Diät richtet man seine Ernährung nach den Lebensmitteln aus, die unseren Vorfahren in der Steinzeit zur Verfügung gestanden haben sollen. Es wird also nur das gegessen, was man als Jäger und Sammler an Nahrung beschaffen kann. Der Spiegel reduziert das kurz auf: “… Grünzeug, Beeren und Mammutsteaks …”.
In der Paläo-Diät wird kein Zucker gegessen, stattdessen wird laut Spiegel mit Trockenfrüchten, Honig oder Kokosblütenzucker gesüßt. Ebenso werden heutige Getreideprodukte aus Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel etc. nicht gegessen, da sich die Steinzeitdiät auf die Ernährung vor der Entwicklung der Landwirtschaft bezieht (Wildgräser und Wildgetreide, die Vorfahren der heutigen Hochleistungsgetreidearten, mit kleinen Samenkörnern sind aber schon damals vorhanden gewesen.)
Der Spiegel nennt als Alternative zu Getreideprodukten z. B. einen Fladen aus Kokos- und Maniokmehl mit Sesampaste als Kleber bzw. Glutenersatz und Weinstein als Backtriebmittel. Neben Getreide wie Weizen wird auch auf Reis und auf Kartoffeln verzichtet. Milchprodukte werden in der Paläo-Diät laut Spiegel durch ein Püree aus Nüssen und Wurzelgemüse ersetzt, welches durch Bakterien fermentiert wird.
Gesundheit und Sexualtrieb
Die heutige Ernährung, die mit der Erfindung und Entwicklung des sesshaften Lebens an einem festen Ort mit Landwirtschaft und Ackerbau begann, sei für die Anhänger der Paläo-Diät durch den Zucker, das Getreide und die Milchprodukte verantwortlich für moderne Krankheiten wie Arteriosklerose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, daraus folgende Herzinfarkte und Schlaganfälle, Diabetes u.s.w.
Nach der Umstellung der Ernährung auf die angenommene Ernährung der Steinzeitmenschen verbessere sich die Gesundheit, der Körper würde entgiftet und der Sexualtrieb gesteigert, “… behauptet Sauvage-Geschäftsführer Boris Leite-Poco.” Leite-Poco: “Wenn Sie Ihre Essgewohnheiten den Paläo-Prinzipien anpassen, ernähren Sie Ihren Körper so, wie es die Natur vorgesehen hat.”
Laut Spiegel halten es Ernährungswissenschaftler und Biologen für Unsinn, dass die Ernährung nach den Prinzipien der Paläo-Diät die Ernährung ist, die für den Menschen von der Natur vorgesehen ist.
Marlene Zuk von der University of Minesota nennt den Trend zur Steinzeitdiät eine Paläo-Fantasie. Der Hauptkritikpunkt ist, dass es laut Marlene Zuk zu keinem Zeitpunkt der menschlichen Entwicklung eine perfekte Anpassung des Menschen an die jeweilige Umgebung gab. Somit gab es und gibt es auch nicht die eine perfekte Ernährung für den Menschen.
Der Spiegel führt dazu den Ernährungsphysiologen Alexander Ströhle von der Universität Hannover an, der sagt, dass es die eine natürliche Ernährung des Menschen mit einer Spezialisierung auf ganz bestimmte Lebensmittel nicht geben könne. Dazu passt die Beobachtung von Naturvölkern, die jetzt noch je nach den in ihrer Umgebung verfügbaren Lebensmitteln ganz unterschiedlich ernähren – von den traditionell lebenden Eskimos, über Naturvölker in Südamerika und Afrika bis zu den Aborigines in Australien.
Evolution – Gesundheit kein Selektionskriterium, nur erfolgreiche Fortpflanzung
Alexander Ströhle führt als Gegenargument gegen die Annahme, dass die Ernährung nach den Regeln der Paläo-Diät die einzig für den Menschen richtige und gesunde Diätform sei an, dass die optimale Gesundheit des Menschen kein Selektionskriterium der Evolution sei. Für das Überleben der Menschheit und deren erfolgreiche Vermehrung und Fortpflanzung spielen nur der Erfolg der Fortpflanzung und die erfolgreiche Aufzucht der Nachkommen, bis diese sich selbst wieder fortpflanzen, eine Rolle.
Der Evolution und damit der Selektion von bestimmten Merkmalen, von erfolgreichen Verhaltensweisen und Ernährungsgewohnheiten, spielt die Gesundheit im höheren Alter, nach dieser Annahme keine Rolle. Höheres Alter bedeutet für die Evolution und die frühgeschichtliche menschliche Entwicklung, auf die sich die Steinzeit-Diät bezieht, etwas anderes als das heutige hohe Alter.
Wenn man davon ausgeht, dass Naturvölker und Steinzeitmenschen vor und um das Alter von 20 Jahren ihre Kinder bekommen, und diese den Schutz und die Fürsorge der Eltern bis zum Alter von an die 15 Jahre benötigen, beginnt das hohe Alter, welches für die Evolution keine Rolle mehr spielt ab circa 30 bis 35 Jahre. Es gibt auch Angaben, wonach die Menschen zu gewissen Zeiten gar nicht so alt geworden sind – zum Beispiel in einem Interview über das Leben im Mittelalter im Spiegel: “… die Hälfte der Bevölkerung wurde nicht älter als 21 Jahre.” (Die Frage ist natürlich, ob die Menschen, die früh starben sich erfolgreich fortpflanzen konnten und deren Kinder überlebt haben, um sich selbst fortpflanzen zu können.)
Wenn man sich den Gesundheitszustand der heute lebenden Menschen betrachtet, kann man wohl feststellen, dass bis zum Alter von 35 Jahren die meisten Menschen, egal wie ungesund und auf welche konkrete Weise sie sich ernähren relativ gesund und fit sind. Der Spiegel schreibt, dass Ernährungsspezialisten “… zum Verzehr von Gemüse und Obst statt … Burgern und Pommes frites …” raten, dass Ströhle aber fragt, ob es für diese Ernährungsempfehlungen “… wirklich einer fragwürdigen evolutionsmedizinischen Begründung bedarf.”
Kohlenhydratsucht
Die Wissenschaftler sind verwundert, wie man über einen Zeitraum Bescheid wissen kann, der von vor rund 2,5 Millionen Jahren bis vor circa 8000 Jahren ging. Es gibt nur wenig konkrete Erkenntnisse über die tatsächlichen Ernährungsgewohnheiten der Menschen in dieser Zeit. Der Spiegel schreibt, dass die Menschen vermutlich “… aus purer Not nicht besonders wählerisch …” waren und alles in sich hineinstopften, “… was ihnen essbar erschien.”
Der “Essforscher” (wie der Spiegel ihn u.a. bezeichnet) Alexander Ströhle geht davon aus, dass das Ernährungsverhalten der früheren Menschen sehr flexibel gewesen sein muss. Wenn die heutigen Anhänger der Paläo-Diät Kohlenhydrate so gut wie möglich vermeiden, seien nicht die Menschen der Steinzeit und anderer Zeiträume aus der menschlichen Evolution das Vorbild.
Denn diese früheren Menschen konnten es sich nicht leisten, die wertvolle Energie aus den Kohlenhydraten nicht zu essen, sie waren wohl eher kohlenhydratsüchtig. Die Anhänger der Paläo-Diät bestreiten wohl auch gar nicht, dass Kohlenhydrate für den Menschen eine schnelle, leichte und begehrenswerte Energiequelle darstellen, sie aber einfach in der menschlichen Frühgeschichte einfach nicht in der Menge vorhanden war.
Der Drang des Menschen nach zuckerhaltigen Lebensmitteln, die Kohlenhydratsucht, kommt wohl gerade daher, diese wenigen Quellen von Kohlenhydraten effektiv zu nutzen, weil sie das Überleben vereinfachten. Nur machte das damals nicht krank, weil sie nicht in der Menge, der Häufigkeit und der Regelmäßigkeit vorhanden waren.
Der Spiegel bezeichnet die Gier nach kalorienreicher Nahrung nicht als unnatürlich, sondern führt Ströhle an, der sagt: “Das Verlangen nach Süßem dürfte vielmehr mit der früchtebasierten Kost unserer behaarten Vorfahren in Zusammenhang stehen …” und eine der wichtigsten Nahrungsquellen, der Honig, würde häufig nicht beachtet.
So führt der Spiegel an, dass heutige Naturvölker im Sommer bis zu eineinhalb Kilogramm Honig essen, und das überhaupt nicht mit den heutigen Ernährungsempfehlungen und gleich gar nicht mit den Diätregeln der Paläo-Diät in Vereinbarung zu bringen ist. Ebenso haben die früheren Menschen laut Erkenntnissen von Anthropologen schon stärkehaltige Wurzelknollen gegessen, “… um ihren Heißhunger auf Saccharide zu stillen.”
Der Spiegel geht deshalb davon aus, dass unsere Vorfahren nicht nur hauptsächlich gesunde Pflanzennahrung, Fleisch und nur wenig Kohlenhydrate aus Obst aßen.
Wildapfel und Mammutsteaks
Die Nachstellung der konkreten Ernährungsweise in der Steinzeit scheitere auch an den nicht mehr vorhandenen Lebensmitteln. Die heutigen Pflanzen und Tiere, die wir essen sind durch Veränderungen hin zu mehr Kaloriengehalt, besserer Transportfähigkeit und besserem Geschmack “… weit entfernt von ihren wilden Ahnen.” Die Evolutionsbiologin Marlene Zuk: “Selbst wenn wir wollten, konnten wir uns gar nicht genauso wie unsere Vorfahren ernähren.”
Forscher in New York haben einen Asiatischen Wildapfel – Malus Sieversii – kultiviert, den auch die Menschen vor der Entwicklung der Landwirtschaft gegessen haben sollen. Laut einem Erfahrungsbericht der New York Times soll der Geschmack einer mürben Paranuss mit einem Mantel aus ledriger Haut entsprochen haben.
Die Frage ist natürlich, ob es wirklich gegen die Paläo-Diät spricht, wenn nicht genau die gleichen Lebensmittel in genau der gleichen Qualität und Quantität vorhanden sind, wie in der Steinzeit. Die Ernährung in der Steinzeit, auf die sich die Paläo-Diät bezieht war sowieso je nach Region, Kontinent und selbst innerhalb eines Kontinents wie Europa unterschiedlich.
Es geht bei der Paläo-Diät wohl eher um die grundsätzliche Zusammensetzung der Lebensmittelauswahl und nicht darum, ob ein bestimmter Wildapfel gegessen wird, oder nicht. Genauso könnte der Spiegel anführen, dass die Paläo-Diät nicht erfolgreich sein kann und dass man mit dieser Diät niemals erfolgreich abnehmen kann, weil es ja heutzutage keine Mammuts mehr gibt und man somit auch keine Mammutsteaks mehr essen kann.
Dazu bräuchte es nicht mal komplizierter hochwissenschaftlicher Versuche. Aber ein natürlich gemästetes Tier, was sich natürlich mit Grünfutter ohne Kraftfutter und wachstumssteigernde Mittel ernährt und bei natürlichem Auslauf draußen und nicht im Stall lebt, kommt wohl einem Tier aus der Steinzeit bei der wichtigen Zusammensetzung der Fettsäuren und des Eiweißes sehr nahe.
Anmerkung:
Die Sprache, Art und Weise, wie sich der Spiegel in diesem Artikel dem Thema Gesundheit, Ernährung und Diät nähert, möchte ich noch kurz an ein paar Beispielen darstellen:
- “Die Welt der Heilkost und Hungerkuren gilt gemeinhin als Domäne der Frauen.”
- Frauen, die versuchen Männer “… zur Freudlosigkeit bei der Nahrungsaufnahme zu überreden …”
- “Die Fleisch- und Grünkostfanatiker sind allen Ernstes davon überzeugt …”
- “… schweren Sündenfall geleistet hat, der Krankheit und Siechtum hervorbrachte.”
- “Geißeln der Zivilisation wie Arteriosklerose …”
- “… am liebsten gesundes Grünfutter mümmelten …”
- “… vom kleinen Klausi Beimer in den Moppel Klaus verwandelte.”
- “Dank Steinzeitkost speckte der adipöse Mime um 18 Kilogramm ab. Behauptet er zumindest.”
- “… nach Meinung mancher Gesundheitsapostel dick machen …”
- “… Essforscher Ströhle.”
Literatur:
Spiegel: “Paranuss in Lederhaut. Viele Menschen findes es schick, sich zu ernähren wie unsere Vorfahren in der Altsteinzeit – mit viel Fleisch, Gemüse und Obst. Aber ist die Paläo-Diät wirklich gesund?” .
Spiegel: “Leben im Dauerrausch. Der britische Historiker Ian Mortimer über das Leben im Mittalter …”.
Diplom-Betriebswirt (FH) André Fiebig